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Hospiz​Felle

ein letztes Zuhause für sterbende Katzen

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Kitti

In den stillen Monaten nach Milas Tod hatten wir zwar mehr Freiheit in Sachen Haushalt, Freizeit und Finanzen, aber es fehlte auch das Klickern von Krallen auf dem Boden, das Schmusen, Spielen, Erzählen (als Ausrede, mit sich selbst zu sprechen); diese andere und besondere Art von Kontakt unter artfremden Lebewesen. Jeder Tierbesitzer weiß, wovon wir reden.

Wieder mit Kitten zu beginnen und uns auf zehn oder mehr Jahre zu binden, kam für uns beide nicht infrage. Aber langsam formte sich ein kleiner Gedanke zu einer konkreten Idee aus. Eines Tages stolperten wir über eine Vermittlungsanzeige, die dieses Gedankenspiel zur Wirklichkeit werden ließ...

Donnerstag, 15.6. stiegen wir ins Auto und fuhren zum Tierheim. Die Mitarbeiterin berichtete uns, dass die 15jährige Kitti wahrscheinlich ihr Leben lang bei einer älteren Dame gelebt hätte und als diese ins Altenheim musste, kam das Kätzchen zu ihnen. Bei der tierärztlichen Untersuchung wurde eine Schilddrüsenüberfunktion festgestellt und medikamentös antherapiert. Kitti war völlig verwirrt und verweigerte jegliche Kontaktaufnahme, war hormonbedingt aggressiv, verweigerte das Futter. Fraß, wenn überhaupt, nur nachts.

Sie saß in ihrem Katzenzimmer alleine in der hintersten Ecke eines Kratzbaumes. Zwei Kilo Fell und Angstaugen, bei vorsichtiger Begrüßung gab es direkt einen Kratzer, danach taktischer Rückzug und konstantes Knurren. Keine Frage, Kitti fand dort alles Mist. Eine kurze nonverbale Kommunikation unsererseits und die sofortige Entscheidung: Kitti sollte nicht im zwar bemühten, aber völlig überlasteten Tierheim eingehen, sondern noch ein paar schöne Monate in einem Zu Hause haben und in Frieden sterben dürfen.

Am Samstag, 17.06. durften wir Kitti abholen. Während der letzten bürokratischen Hürden saß das arme Ding in ihrer Transportbox und hörte nicht einmal auf zu brummen und zu knurren. Na, das konnte ja was werden... 

Auf das Öffnen des Transportkorbes waren wir gespannt, würde sie sich verkriechen und die nächsten Tage nicht bewegen? Negativ. Zwar etwas geduckt, aber wie selbstverständlich erkundete sie den Wohnbereich, inspizierte die wichtigsten Orte und weihte das Klo ein. Danach Rückzug auf einen Stuhl unter dem Küchentisch, wo sie die nächsten Tage verweilen und die Lage ausloten würde. Wir sorgten in dieser Zeit dafür, dass sie ihre Grundbedürfnisse befriedigen konnte und taten ansonsten, als wäre sie nicht da. Letzteres galt von ihrer Seite genauso.

In den nächsten Tagen bauten wir kleinschrittig erste Kontakte zu unserer Hospiz-Patientin auf. Ein Leckerli hier, ein Spieleangebot dort. Nach zwei Tagen lies sie sich beim Naschen kurz anfassen und die Kletter- und Kuschelmöglichkeiten wurden wenigstens in Augenschein genommen. Ein wenig schwankend war das alte, dürre Ding unterwegs- kein Wunder, bei dem Muskelschwund. Spielen schien sie nicht (mehr) zu kennen, denn zwar haschte sie der Angel mal hinterher, aber sehr schnell schlugt es um und sie drosch nur noch wiederholt auf sie ein. Legte sich das Band über ihren Rücken oder kringelte sich um eine Pfote, floh sie panisch vor der Situation. Aber einer fliegenden Plüschmaus konnte sie dann doch nicht widerstehen.

Und weitere Anpassungen folgten in den zwei Wochen nach ihrem Einzug:

Sie benutzte das Klo so eigensinnig, dass wir ihr ein Podest bastelten, von dem aus sie sich über den Rand hängen konnte. Der deckenhohe Kratzbaum wurde ignoriert, also machten wir zwei kleinere daraus. Ihre Schilddrüsentablette ließ Kitti sich entweder mit Leckerli oder sogar direkt ins Maul nach wenigen Tagen gefallen, wobei sie manchmal versuchte, sie heimlich wieder loszuwerden. Die Suche nach geeignetem Futter gestaltete sich schwierig, die kleine Zicke war genau so mäkelig wie unsere zuletzt verstorbene Mila, aber wir hatten und haben besonders zu den Arbeitszeiten tatkräftige Unterstützung aus der Nachbarwohnung. Unsere "Babysitterin" hatte selbst jahrzehntelang Katzen, kennt sich mit allerlei Wehwehchen und Eigenarten der Samtpfoten aus und übernahm es gerne, Kitti zu verwöhnen und zu päppeln.

Freitag, 23.06. Das erste Mal Kuscheln auf dem Schoß, es fühlte sich wie ein Durchbruch an. Es hatte ein wenig gedauert, sich auf Kittis Art der Kommunikation einzurichten. Anfangs schien sie aus dem Nichts heraus zuzuhauen, aber als wir ihre Körpersprache halbwegs verstanden hatten, wurden die Schmarren an unseren Händen immer seltener und bald gab es keine Zwischenfälle mehr.

Dienstag, 04.07. Kontrolltermin beim Haustierarzt in Sachen Schilddrüse. Gewicht: 2,6 kg, sie schaute auch nicht mehr ganz so knochig in der Taille aus. Wobei sie wohl nie den Körperbau einer British Kurzhaar bekommen hätte, denn mäkelig mit dem Futter sollte sie bleiben. Die Schilddrüsenwerte waren etwas unter perfekt, von daher konnten wir glücklicherweise bei der niedrigsten Dosierung bleiben. Wir hatten mit einer deutlich längeren Einstellungs-Odyssee gerechnet. Kitti machte sich großartig, wurde kommunikativ, forderte Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit ein. Sie war keine Schoßkatze, wirkte aber durchaus zufrieden mit ihrer Hospiz-Stelle.

Samstag, 22.07. Es wurde langsam zu einem Auf und Ab. Kitti hatte phantastische Tage, an denen sie super fraß, aktiv war und kuschelte. Es mehrten sich aber auch sehr schlechte, an denen ihr die Gelenke zwickten und sie keinerlei Appetit zu haben schien. Hier und da übergab sie sich auch, wobei es sich meist nur um Schleim und/oder Haare handelte. An diesen Tagen gab es leicht Verdauliches und Unterstützung für die Haarballenproblematik. So viele Haare! Wenn wir nicht täglich fegten, hatten wir Teppich statt Fliesen.

Dienstag, 25.07. Kitti ging es seit gestern Abend nicht gut. Sie fraß schlecht, war torkelig auf den Beinen hatte und ab und zu Atemgeräusche, also fuhren wir mit ihr zum Arzt. Das Röntgenbild gab den Hinweis auf Asthma und damit Cortison zur Akutbehandlung.

Donnerstag, 27.07. Kontrolltermin beim Doc. Leider hatte die Behandlung nicht wie gewünscht angeschlagen, die Atemproblematik zugenommen und das Futtern schien ihr keinen Spaß mehr zu machen. Wir versuchten, ihr das Atmen mit Entwässerungsspritze und -Tabletten leichter zu machen, desweiteren musste das kleine Kratzbürstchen inhalieren, so oft es ging.

Freitag, 28.07. Auch die gestrige Spritze und die Tabletten schienen nicht den gewünschten Erfolg zu bringen, das Atemgeräusch änderte sich überhaupt nicht. Entspannen schien Kitti nur unter ihrer Dampftherapie zu können, ansonsten hielt die Enge in ihrer Brust sie wach. Wir nahmen Blut ab und Antibiose wurde gestartet. Sie musste inzwischen mit Pürree und Spritze zugefüttert werden und bekam neben der Inhalation zweimal täglich Asthmaspray.

Samstag, 29.07. Das Blutbild gab keinerlei neue Hinweise, alle Werte -sowohl Blutkörperchen als auch Organe- sahen für das Alter gut aus. Weitere Antibiose subkutan und eine Salbe zum Appetitanregen sollten Kitti über das Wochenende helfen, ansonsten ging es weiter wie gehabt. Montag sollten die Luftwege endoskopisch kontrolliert werden. Obwohl es Kitti überhaupt nicht gut ging und sie zunehmend kämpfte, war sie unglaublich liebevoll mit uns und machte sowohl jede Behandlung als auch Inhalation und das Asthmaspray ohne vorheriges Auftrainieren problemlos mit. Nur das Füttern per Spritze fand sie langsam nicht mehr so witzig.

Montag, 31.07. Es war ein mulmiges Gefühl, Kitti seit dem Morgen in einem Käfig beim Tierarzt zu wissen, auf die Untersuchung und das Ergebnis zu warten. Der Doc hatte die Ansage, sie nicht mehr aufzuwecken, sollte er Gewebeveränderungen entdecken. Dies war aber nicht der Fall, auch innerhalb der Luftwege schien alles in Ordnung. Allerdings zeigte das Kontrollröntgen im Vergleich zu der letzten Woche, dass die Lunge sich in Seitenlage mit Flüssigkeit füllte. Kitti bekam die Höchstdosis an Cortison (auch in Tablettenform für zu Hause), weiter das Spray und die Inhalationen so oft es möglich war, zwei Tage später sollten wir nochmals vorstellig werden. Am Nachmittag nahm sie jede der stündlichen Dampfsaunen dankbar an, nickerte in der Box sogar ein. In den Zeiten dazwischen war sie ungewöhnlich anschmiegsam, kuschelte viel, lag mit auf der Couch und kam abends sogar erstmalig mit ins Bett.

Dienstag, 01.08. 05:00 Uhr. Kitti begrüßte mich leise und ohne Atemgeräusche beim Aufstehen. Als ich aus dem Bad kam, bemerke ich ihre seltsame Kopfhaltung und wenige Momente später lag sie mit Maulatmung auf der Seite. Ich war sofort am Telefon, und in Rekordzeit saßen wir im Auto auf dem Weg zum Doc.

Mit Kitti gab man uns sechs komprimierte Wochen, in denen wir noch mehr über Körpersprache, Ansprüche und häusliche Behandlungen lernten. Sie bekam Ruhe und Liebe, konnte entspannen und uns einen ganz besonderen letzten Abend voller Zuneigung (vielleicht Dankbarkeit?) schenken. Sie ging um kurz vor sechs Uhr über die Regenbogenbrücke.

Sie hinterlässt eine Lücke im Herzen, hat uns aber gezeigt, dass unvermittelbare Palliativ-Fälle trotz der hohen Kosten (diese sechs Wochen mit ihr lagen bei über 900€) unglaublich viel zu geben und zu lehren haben. Wir sind dankbar über die viel zu kurze, aber intensive Zeit mit ihr und sind gespannt, welchem neuen Hospiz-Fellchen sie Platz gemacht hat.


Kitti war unsere erste Hospizkatze - doch sie wird nicht die letzte bleiben...